»Who the fuck is Manfred?«

Forschungslernseminar (Wintersemester 2017/2018 - Sommersemester 2020) mit Buchveröffentlichung 2021 [LINK]; gemeinsam mit Christopher Folkens in Zusammenarbeit mit dem scius-Verlag. Förderung: CampusCultur e.V.


Der Tod des letzten großen Staufers, Friedrich II., im Jahre 1250 hinterließ ein über zwei Jahrzehnte andauerndes Machtvakuum, das eine allgemeine Unsicherheit in Hinblick auf die Zentralgewalt des Mittelalters nach sich zog. Das sogenannte „Interregnum“ (ca. 1245/50-1273) läutet dabei einen entscheidenden Entwicklungsprozess der deutschen Geschichte ein: Von den glorreichen, hochmittelalterlichen Zeiten staufischer Kaiserhoheit zur Krise des Spätmittelalters. Eine Aneinanderreihung schwacher, nicht allgemein anerkannter Herrscher sowie sich emanzipierende Fürsten und Städte schwächen das spätmittelalterliche Königtum und Reich gleichermaßen. Letzteres beginnt zu zersplittern und sich in kleine bzw. kleinere Herrschaftsbereiche zu gliedern. „Eine Übergangsphase zum Schlechteren!“ – soweit zumindest die ältere Forschung.

Diese pauschalisierenden Urteile sind zwar derart fragwürdig, dass sich die neuere Forschung um deren Dekonstruktion bemüht. Doch halten sich diese veralteten „Geschichtsbilder“ des Interregnums zumeist bis heute. Dieser Befund ist umso erstaunlicher, da kaum eine andere Herrscherfamilie die Phantasie der Nachwelt in Deutschland und Italien so sehr beschäftigt hat, wie die der Staufer. Während sich um Friedrich II., den letzten großen Staufer, ein Personenkult entwickelte, geriet sein Sohn Konrad IV. beinahe in Vergessenheit (obwohl er 1237 zum römisch-deutschen König gewählt worden war). Konrads Halbbruder Manfred, der die staufische Herrschaft in Sizilien noch bis 1266 weiterführte, ist der breiten Masse schon gänzlich unbekannt. (Und selbst er war nicht „der letzte Staufer“ in Süditalien.)

Im Wintersemester 2017/2018 begannen wir uns am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover im Rahmen eines Vertiefungsseminars zum Interregnum in diesen spannenden Diskurs einzureihen und aus dem Kontrast zwischen historischen Prozessen und deren Wertung kritische Fragestellungen zum Thema abzuleiten. Mit einer (zugegebenermaßen) etwas provozierenden, titelgebenden Fragestellung wollten wir dem Thema sowie dem (didaktischen) Ansatz der Veranstaltung gleichermaßen Rechnung tragen und fragten: „Who the f**k is Manfred?"

Ziel der Veranstaltung war es dabei zunächst, die Fähigkeit der Studierenden zu fördern, eigene Forschungsideen im Dialog mit den Lehrenden sowie den Mitstudierenden zu entwickeln. (Was genau ist eigentlich eine Forschungsfrage?) Des Weiteren sollte auf diesen Dialog noch im Semester die schriftliche Umsetzung der Forschungsidee folgen. Anders ausgedrückt: Während schriftliche Studienarbeiten in der Regel im Anschluss an eine Veranstaltung im berühmten „stillem Kämmerlein“ verfasst werden, stellten wir den Prozess ins Zentrum einer Lehrveranstaltung. Zwei Gedanken waren dabei leitend: Erstens bekamen die Studierenden so die Chance, ihre Forschungsideen durch theoretische Anleitung und kritisches Feedback im Seminarkontext tatsächlich zu einer Forschungsfrage auszubauen. Und zweitens entsteht in der Summe das Potential, ein abgestecktes Themenfeld mit verschiedensten Ansätzen nicht nur „neu“ zu be-, sondern auch forschend zu durchleuchten. Zum Credo könnte man Folgendes erheben: Forschen lernen lehrend begleiten.

Diesem Credo entsprechend entwickelte sich im Laufe der Veranstaltung die Idee, nicht nur  das Verfassen der Arbeiten dem angesprochenen „stillen Kämmerlein“ zu entziehen, sondern auch die fertigen Forschungsprodukte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies soll in Form eines Aufsatzsammelbandes realisiert werden. Einen idealen Partner für dieses Projektvorhaben fanden wir im noch jungen scius-Verlag. Der scius-Verlag wurde 2015 von Jan Niklas Meier, einem ehemaligem Studierenden des Historischen Seminars, in Hannover gegründet und hat sich nicht nur der Publikation von geisteswissenschaftlichen Disziplinen im Allgemeinen sondern auch der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchs im Speziellen verschrieben. Ziel der Publikation wird es unter anderem sein, das (Projekt-)Seminar als Reflektionsebene zur Aus- bzw. Aufarbeitung des zuvor angerissenen (didaktischen) Konzepts zu nutzen. Neben der Veröffentlichung studentischer Beiträge soll der Ansatz „forschen lernen lehrend begleiten“ (am Beispiel der Geschichte des 13. Jahrhunderts) so auch einem größeren Publikum zur Diskussion gestellt werden. Zu Dank sind dabei dem CampusCultur e.V. verpflichtet, da wir diesen als großzügigen Förderer für die Buchpublikation gewinnen konnten.

Da das Konzept der Lehrveranstaltung bei erstmaliger Durchführung im Wintersemester 2017/2018 nicht nur großen Anklang bei den Studierenden fand, sondern sich auch im Hinblick auf die studentischen Beiträge als sehr fruchtbar erwies, lag es auf der Hand, Folgeveranstaltungen anzubieten: In Erweiterung des ursprünglich diskutierten Zeitfensters (ca. 1245/50-1273) nahmen wir dabei im Wintersemester 2018/19 zunächst die Staufer im 12./13. Jahrhundert respektive die 'Vorgeschichte' des Interregnums in den Blick; im kommenden Sommersemester 2019 werden wir uns dann in Gestalt Rudolf von Habsburgs mit dem Ende des Interregnums sowie den großen strukturellen Entwicklungen des endenden 13. Jahrhunderts auseinandersetzen. Insgesamt soll so gewährleistet werden, dass das 'Ursprungsthema' Interregnum in seinem historischen Kontext eingerahmt bzw. durch die Erweiterung des Betrachtungszeitraumes (ca. 1189-1291) umfassend diskutiert wird.

[Projektbeschreibung – 23.01.2019, Christopher Folkens / Daniel Kaune; letze Akt. (Cover & Inhalt) 05.09.2021]

  • Lehrveranstaltungen
    • „Who the f**k is Manfred? Vertiefungsseminar zum Interregnum", WiSe 2016/2017
    • „Influencer und "Global Player"? Die Staufer im 13. Jahrhundert“, WiSe 2018/2019
    • „Rudolf von Habsburg: Die Rückkehr des Königs“, SoSe 2019
    • „Der Sonntag von Bouvines “, WiSe 2019/2020
    • „Die Erfindung des Spätmittelalters “, SoSe 2020
  • zugehörige Publikationen

    Christopher Folkens / Daniel Kaune (Hg.), Who the fuck is Manfred? Ein studentischer Diskurs um die letzten Staufer, das sogenannte Interregnum und Rudolf von Habsburg (Am Mittelalter Forschen Lernen (AMFL) Bd. 1), Hessisch Oldendorf 2021 [Cover & Inhaltsverzeichnis, LINK], darin:

    • Vorwort von Christopher Folkens & Daniel Kaune, S. 9-11. [PDF]
    • zur Einführung: Who the fuck is Manfred?
      • Christopher Folkens, Das 13. Jahrhundert zwischen historischer und historiographischer Zäsur. Eine thematische Einführung in den Seminarkontext, S. 14-32.  [LESEPROBE auf bod.de]
      • Daniel Kaune, Forschen lernen lehrend begleiten. »Forschendes Lernen« als Lernform, hochschuldidaktisches Format und Seminarkonzept, S. 34-60.  [LESEPROBE auf books.google.de]
    • ein studentischer Diskurs um die letzten Staufer, das sogenannte Interregnum und Rudolf von Habsburg
      • Niklas Zorko, Der Friedensvertrag zwischen Heinrich VI. und Richard I. im Jahr 1193. Die singuläre Überlieferung bei Roger von Howden im Kontext der staufischen Machtpolitik, S. 64-80. [LESEPROBE auf books.google.de]
      • Julia Hochfeldt, Der Papst als einzig wahrer Interpret göttlichen Willens? Zur Rechtfertigung Innozenz‘ IV. hinsichtlich der Absetzung Friedrichs II. im Zuge einer linguistischen Untersuchung, S. 82-105.  [LESEPROBE auf books.google.de]
      • Christin Wagner, Gescheiterte Königsmacher oder böhmische Propaganda? Die Reisen der Erzbischöfe von Köln zu König Ottokar II. von Böhmen am Vorabend der Königswahlen 1256 und 1273 nach den Annales Otakariani, S. 106-138. [LESEPROBE auf books.google.de]
      • Leon Schröder, Armer König, arme Mönche. König Rudolf I. von Habsburg und die Franziskanermönche im Spiegel der chronikalischen Überlieferung um Heinrich von Isny, S. 140-166.
    • abschließende Bemerkungen
      • Christopher Folkens & Daniel Kaune, Am Mittelalter Forschen lernen. Abschließende Bemerkungen zu Manfred von Sizilien und der Projektmethode, S. 170-182.