Anders als die Dauer des römischen Principats es vermuten lässt, war die Stellung der einzelnen Principes eher prekär als stabil, und in den Spuren antiker Quellen zur römischen Kaiserzeit hat die moderne Forschung das Verhältnis von Senat bzw. Senatoren zum Princeps häufig als ‚Feindschaft‘ beschrieben oder als ‚Opposition‘ konzeptualisiert. Das hier skizzierte Projekt betrachtet dieses Verhältnis differenzierter und analysiert es als eine Form der Konkurrenz. Diese Konkurrenz wurde befördert von einer für die Akzeptanz des römischen Princeps zentralen Facette der Herrschaftsdarstellung, nämlich civilis zu sein: ein Senator, ein Freund, ein lediglich Erster unter Gleichen.
Das Projekt argumentiert, dass die Konflikte zwischen Senatoren und Principes nicht aus einer Übermacht des Princeps und einer Ohnmacht der Senatoren resultierten, sondern gerade aus der Vergleichbarkeit des Princeps: Um als ‚gut‘ akzeptiert zu werden, hatte sich der Princeps demonstrativ im senatorischen Referenzrahmen zu bewegen; dies bot Senatoren die Möglichkeit, sich mit ihm zu vergleichen, ihn einzuholen und herauszufordern. Mit der spezifischen Konkurrenz zwischen Principes und Senatoren vom Principat des Augustus bis zum sog. Sechs-Kaiser-Jahr (27 v.Chr.–238 n.Chr.) stellt dieses Projekt zudem einen bislang noch nicht beschriebenen Konkurrenzmodus vor und versucht plausibel zu machen, dass der Umgang mit dieser Konkurrenz wesentliches Motiv sowohl für die ‚Realpolitik‘ und die kaiserliche Herrschaftsdarstellung wie auch für die Modi senatorischer Lebensführung war. Ziel des Projektes ist es damit, die dominierenden Deutungsparadigmen für das politische System des römischen Principats zu ergänzen.
Das im Folgenden skizzierte Projekt untersucht in drei Teilprojekten, welche Herausforderungen für die Beteiligten und das politische System aus den Konkurrenzbeziehungen zwischen römischen Principes und senatorischen Eliten resultierten. Im Teilprojekt (1) möchte ich selbst in einer Monographie den konzeptuellen Rahmen dieser Konkurrenzbeziehung abstecken und deren Felder und Spielarten analysieren. Das Teilprojekt (2) soll im Format einer Qualifikationsarbeit jene Reziprozitätsbeziehungen untersuchen, in welche der Princeps als amicus wie auch als Institution eingebunden war und welche ihn in solcher Weise in Konkurrenzstrukturen vergleichbar machten, dass er sich ihnen zu entziehen versuchte. Das Teilprojekt (3) soll im Rahmen einer weiteren Qualifikationsarbeit senatorische Verschwörungen als von Konkurrenzstrukturen beförderte Herausforderungen des Princeps untersuchen. Gemeinsame Projektkolloquien, Workshops und eine Projekttagung (s.u. 7.6) sollen von einer frühen Phase an den konzeptuellen Rahmen des Projektes zur Diskussion stellen und Anregungen für die weitere Arbeit sammeln. Verbindendes Element von Teilprojekten und Workshops ist, die Tragfähigkeit von ‚Konkurrenz‘ als einem neuen Deutungsparadigma für den Principat zu prüfen und zu einem nuancierten Bild dieser politischen Ordnung zwischen persönlich begründeter und institutionalisierter Vorrangstellung des Monarchen zu gelangen.
Vor allem in der deutschsprachigen Forschung hat sich seit der Publikation von E. Flaigs „Den Kaiser herausfordern“ im Jahr 1992 das Deutungsparadigma des römischen Principats als ‚Akzeptanzsystems‘ etabliert: Das System der Principatsherrschaft habe höchste Akzeptanz besessen, jeder einzelne Princeps sei aber darauf angewiesen gewesen, in enger Kommunikation mit – so Flaig – drei gesellschaftlichen Sektoren plausibel zu machen, dass er den seit Augustus historisch gewachsenen Bildern eines ‚Guten Princeps‘ entspreche, welche sich für diese Sektoren allerdings deutlich voneinander unterschieden hätten. Für die Senatoren sei die wichtigste Facette eines ‚Guten Princeps‘ gewesen, dass jener sich wie ein Senator und amicus gegeben habe, indem er in Kommunikation und Performanz seine auf vielen Feldern faktische Überlegenheit bewusst nicht demonstriert habe.
Das hier skizzierte Projekt versucht an diesem Punkt plausibel zu machen, dass gerade dieses Rollenspiel, mit welchem der Princeps seine feste Verankerung im senatorischen Kontext betonte, dazu führte, dass er in Taten, Prestige und Habitus vergleichbar und damit übertreffbar wurde – vor allem von den hochrangigen Mitgliedern des Gremiums, den gar mehrfachen Consularen und militärisch erfolgreichen Statthaltern. Das Projekt möchte also, stärker als es bislang geschieht, den Princeps in den Kontext der Consulare seiner Zeit stellen und die domus Augusta im Kontext zeitgenössischer senatorischer Familien sehen, für welche Konkurrenz auf ganz unterschiedlichen Feldern wesentlicher Modus zur binnenständischen Differenzierung war.
Zur Forschungslage
Eine Reihe älterer und jüngerer Studien trugen eine Vielzahl von zumeist literarischen Quellen zusammen, aus welchen Spannungen zwischen dem Princeps und einzelnen Senatoren oder Senatorengruppen deutlich werden. Zumeist geschieht dies ohne klaren begrifflich-konzeptuellen Rahmen, wenn etwa ohne weitere Definition von ‚Rivalität‘, ‚Widerstand‘ oder ‚Feindschaft‘, von ‚(stoischer) Opposition‘, ‚Republikanismus‘ oder ‚Freiheitsliebe‘ die Rede ist. Hervorzuheben ist der umfangreiche Versuch von K. Raaflaub (1987), Szenarien zu systematisieren, die er als Zeugnisse einer ‚Opposition‘ gegen den Princeps charakterisiert. Weil er diesen Begriff aber erklärtermaßen zugleich in unspezifischem wie zu engem Sinn verwendet, führt dies zum einen dazu, dass er etwa Faktionsbildungen innerhalb der domus Augusta nicht als Fälle von ‚Opposition‘ kategorisiert; und zum anderen festhält, dass „Opposition (…) mit dem Ende der Julio-Claudier weitgehend zum Erliegen kam (…). Was blieb, waren vereinzelte Verschwörungen und Revolten auch unter den ‚guten Kaisern‘ Vespasian und Titus“. Damit entgehen Raaflaub zahlreiche Typen von ‚Herausforderungen‘ des Princeps durch Familienmitglieder und Senatoren, vor allem des fortgeschrittenen Principats. Allerdings hält Raaflaub das wichtige Ergebnis fest, dass die meisten Akte von ‚Opposition‘ nicht politisch, sondern persönlich motiviert gewesen seien, ohne konstruktiven oder originellen Charakter.
Demgegenüber benutzen manche Studien den Begriff ‚Konkurrenz‘, allerdings nicht in einem konkreten Sinn; andere Arbeiten wiederum sehen das Verhältnis von Princeps und Senatoren ausdrücklich nicht als von ‚Konkurrenz‘ im präzisen Sinn geprägt. Drei jüngere Beispiele seien stellvertretend genannt. Zum einen konstatiert E. Flaig (2019): „Die Kaiser standen nicht unter dem Druck, ‚die Besten‘ zu sein. Sie waren der aristokratischen Konkurrenz nicht ausgesetzt und mussten daher nichts ‚beweisen‘.“ Im folgenden Absatz präzisiert er: „Römische Kaiser waren keine charismatischen Herrscher. (...) Sie standen nicht unter dem Druck zu beweisen, daß sie Menschen von ‚außeralltäglichen‘ Fähigkeiten waren.“ Zu Recht hebt Flaig hervor, dass römischen Kaisern die ‚Außeralltäglichkeit‘ gefehlt habe, welche für den Weber’schen Idealtypus charismatischer Herrschaft konstitutiv ist. Allerdings, so betont das Projekt, standen die Principes ja gerade auf alltäglichen Feldern in Konkurrenz mit Senatoren; hier hatten sie sich im Vergleich mit jenen zu bewähren. Tatsächlich war Konkurrenz dem Akzeptanzsystem inhärent, wie der folgende Abschnitt deutlich machen wird.
Zum anderen analysiert die Monographie von I. Künzer (2016) die Felder innersenatorischer Konkurrenz auf Basis der Modelle von G. Simmel und Th. Geiger; doch der Princeps kommt in ihrer Darstellung lediglich als eine ‚Dritte Instanz‘ der senatorischen Konkurrenzkämpfe vor. Ein anderer Beitrag von Künzer nimmt zwar ausdrücklich den Typus des militärisch erfolgreichen Feldherrn als Konkurrenten des Princeps in den Blick, hält aber fest: „Hätte sich ein römischer Kaiser darauf eingelassen, die Konkurrenz (...) auszutragen, so hätte er zum einen seinen Kontrahenten als gleichrangig und dessen Ambitionen, mit ihm zu konkurrieren, als legitim anerkannt.“ Aber genau das, so will das Projekt zeigen, tat der Princeps: Es war Kern seiner Imago eines civilis princeps, welche für die Senatorenschaft eben wesentlich für seine Akzeptanz war, innerhalb eines traditionellen senatorischen Referenzrahmens zu agieren, eben nicht eines alternativen, monarchisch-institutionalisierten; und damit vergleichbar und eben Konkurrent zu sein, ja: diese Konkurrenz auf manchen Feldern bewusst anzustreben, um als Sieger hervorzugehen.





